Picky Eating bei Kindern: Ursachen, Tipps & wie Eltern gelassen bleiben
Ein Artikel von Alicia Metz-Kleine
Kinder gesund zu ernähren kann ganz schön schwierig sein. Das wissen wir alle, oder? Über komplizierte Phasen aka. NudelnPommesEisHaferflockenSonstnix-Phasen habe ich hier und hier schon geschrieben. Was ist aber, wenn diese Phasen gar nicht mehr aufhören und das Kind so wählerisch bleibt? Bestimmt hast du in diesem Zusammenhang schon mal von Picky Eating bei Kindern gehört. Heute schauen wir uns das Thema mal genauer an. Was ist Picky Eating eigentlich? Woher kommt es? Wie erkenne ich es? Und wie können wir als Eltern damit umgehen?
Was ist Picky Eating bei Kindern eigentlich genau?
Für Picky Eating gibt es keine einheitliche Definition oder medizinische Diagnose. Es bezeichnet erstmal ein wählerisches Essverhalten. Kinder, die als Picky Eater gelten, akzeptieren nur eine sehr begrenzte Auswahl an Lebensmitteln und lehnen neue Speisen konsequent ab. Dieses Verhalten kennen vermutlich erstmal alle Eltern – phasenweise. Bei Picky Eatern ist dieses Essverhalten aber zum einen oftmals ausgeprägter und die Phase zudem deutlich länger. Eltern verzweifeln dann häufig, haben große Sorgen und wissen gar nicht, was sie noch alles versuchen sollen. Man fragt sich, ob man etwas falsch gemacht hat? Ob das Kind jemals “normal” essen wird? Und ob es alle Nährstoffe bekommt, die es braucht? Dazu später mehr.
Beim Picky Eating spielen Faktoren wie Geschmack, Geruch, Konsistenz oder sogar die Farbe eine Rolle. Es gibt Kinder, die beispielsweise nur weiße Lebensmittel essen, was wirklich eine Herausforderung darstellt.
Picky Eating tritt besonders oft im Kleinkindalter auf – in einer Phase, in der Kinder ihren eigenen Willen entdecken und Autonomie einfordern. Das Misstrauen gegenüber neuen Lebensmitteln hat sogar einen evolutionsbiologischen Hintergrund: Vorsicht vor unbekannten Pflanzen konnte früher vor Vergiftung schützen. Die Neophobie (Angst vor unbekannten Nahrungsmitteln) ist eine ganze normale Entwicklungsphase, die bei der Mehrheit der Kinder auftritt und zwischen zwei und sechs Jahren am stärksten ausgeprägt ist. In den meisten Fällen handelt es sich um einen gewöhnlichen Entwicklungsabschnitt, der zwar für Eltern herausfordernd ist, aber keine ernsthafte Gesundheitsgefahr darstellt. Picky Eating gilt nicht als Krankheit und unterscheidet sich ganz klar von einer Essstörung, wie ARFID (vermeidende/restriktive Störung der Nahrungsaufnahme). Solange sich das Kind normal entwickelt, wächst und aktiv ist, besteht in der Regel kein Grund zur Sorge. Auch wenn Eltern das Gefühl haben, als würde das Kind fast nichts essen, sind die meisten Picky Eater nicht mangelernährt. Sie nehmen über den Tag verteilt genug Kalorien und Nährstoffe zu sich, z.B. und unter anderem durch Snacks.
Es gibt jedoch auch Kinder, bei denen das Verhalten ausgeprägter ist oder länger anhält. Besonders häufig sind Kinder mit AD(H)S oder aus dem Autismus-Spektrum betroffen, da sie sensibler auf sensorische Reize wie Geschmack oder Konsistenz reagieren. Auch unter hochsensible Kinder findet man viele, die zu wählerischem Essverhalten neigen. Studien zufolge gelten rund 20 Prozent der Kleinkinder als Picky Eater.
Schwierige Phase oder Picky Eater – Wie erkenne ich es?
“Das mag ich nicht.” “Ich will nur Nudeln ohne Sauce.” Eltern merken meistens schnell, wenn ihr Kind wählerisch isst. Typische Anzeichen dafür können sein:
- Das Kind isst über einen längeren Zeitraum nur wenige, sehr ausgewählte Lebensmittel.
- Neue Speisen werden konsequent verweigert, oft sogar ohne sie zu probieren.
- Es werden nur bestimmte Texturen gegessen: Gekochte Karotten: Bäh. Rohe Karotten: Yay!
- Bestimmte Kombinationen werden abgelehnt. Zum Beispiel wenn sich Lebensmittel auf dem Teller berühren. Kleinkindliche Trennkost quasi.
- Vorlieben wechseln abrupt: Lebensmittel, die gestern noch gerne gegessen wurden, werden plötzlich verweigert. Wer kennt es nicht?! Man kauft einen großen Vorrat eines bestimmten Lebensmittels, weil das Kind es so gerne isst und plötzlich wird es abgelehnt.
- Manche Kinder brauchen auch ungewöhnlich lange beim Essen oder stochern mehr auf dem Teller herum, als dass sie tatsächlich essen. Je nach Alter spielen einige Kinder auch mit ihrem Essen oder werfen es runter.
- Eventuell kann man auch Stress und Angstreaktionen beim Essen beobachten. Ältere Kinder vermeiden eventuell sogar soziale Situationen, die mit Essen zu tun haben.
Dabei ist vor allem wichtig, wie lange diese Phase andauert und wie ausgeprägt sie ist. Die meisten Kinder probieren wieder mehr Lebensmittel mit zunehmendem Alter. Dauert das Verhalten aber bis über das vierte Lebensjahr hinaus an, kann es bis ins Schulalter und
länger fortbestehen. Die Tipps, die ich weiter unten noch teilen werde, können sowohl für kurze Phasen als auch für ein länger andauerndes wählerisches Essverhalten genutzt werden.
Lebensmittelneophobie & Co. – Mögliche Ursachen für Picky Eating
Wir alle wollen, dass es unseren Kindern gut geht und sie gesund und glücklich aufwachsen. Wenn Kinder dann über einen längeren Zeitraum schlecht essen und jede Familienmahlzeit zur Geduldsprobe wird, zweifeln viele Eltern an sich. Sollte es dir oder euch so gehen, kann ich gleich beruhigen: In den meisten Fällen sind nicht die Eltern “schuld”. Ja, es gibt Dinge, die das kindliche Essverhalten negativ beeinflussen können, aber die Gründe für “picky” Essverhalten sind vielfältig:
- Entwicklungsbedingte Phase: Picky Eating tritt häufig in der Autonomiephase auf, wenn Kinder lernen, eigene Entscheidungen zu treffen. „Picky Eating“ ist dann ganz normal und einfach ein Ausdruck der kindlichen Autonomieentwicklung, die unglaublich wichtig ist. Es muss dann der richtige Teller sein, der Joghurt muss selbst aufgemacht werden und die Banane darf auf keinen Fall “falsch” geschält werden.
- Lebensmittelneophobie: Wie schon erwähnt, ist dieses Misstrauen gegenüber neuen Lebensmitteln evolutionsbiologisch bedingt und gilt als Schutzmechanismus. Auch das kann ein Grund sein.
- Sensorische Empfindlichkeit: Manche Kinder sind besonders empfindlich gegenüber Konsistenz, Geschmack oder Geruch. Vor allem Kinder mit Autismus-Spektrum-Störung, ADHS oder hoher Sensibilität sind häufiger betroffen. Es gibt übrigens auch Erwachsene, bei denen das noch so ist.
“Kleiner Fun Fact: Ich mag Pilze geschmacklich sehr gerne, kann aber bis heute einige Sorten aufgrund der eher glitschigen Konsistenz nicht essen. Ich kann das also gut nachvollziehen.”
- Es gibt tatsächlich auch genetische Einflüsse, die eine Rolle beim Picky Eating spielen, z. B. eine stärkere Wahrnehmung von bitteren Geschmacksstoffen. ● Und jetzt kommt der Punkt, der für Eltern sehr wichtig zu beachten ist: Natürlich sind auch Prägungen und Erfahrungen wichtig. Negative Erlebnisse beim Essen (z. B. Zwang oder Druck) oder das Vorbild wählerischer Eltern können wählerisches Essverhalten verstärken.
Ok, jetzt wissen wir, was Picky Eating ist und welche Ursachen es dafür gibt. Aber wie geht man am besten damit um?
Gemeinsame Mahlzeiten, Spaß, Vielfalt & viel Geduld
Die wichtigste Regel im Umgang mit Picky Eatern: Druck vermeiden! Ich habe hier schon sehr oft geschrieben, dass Strafen, Bestechungen oder Zwang am Familientisch nichts verloren haben. Das gilt für alle Familien. Bei Picky Eatern kann eine so restriktive Erziehung das Problem verschärfen und im schlimmsten Fall langfristig zu Essstörungen führen.
Außerdem gibt es bessere Strategien für entspanntere Mahlzeiten:
- Vielfalt anbieten: Immer wieder neue Lebensmittel anbieten. Reminder: Akzeptanz entsteht oft erst nach 10–15 Versuchen. Es hilft, neue Lebensmittel in Kombination mit vertrauten und beliebten Speisen zu servieren.
- Die Menge macht’s. Eltern meinen es oft (zu) gut, vor allem wenn das Kind nicht so gut isst. Es ist aber besser, mit ganz kleinen Portionen zu starten. Zum einen ist das nicht so überwältigend für das Kind und zum anderen werden nicht so viele Lebensmittel weggeschmissen. Wenn ein Kind erstmal nur 2,3 Erbsen auf dem Teller liegen hat, wirkt das überschaubar und machbar.
- Positive Atmosphäre schaffen: Essen sollte kein Machtkampf sein. Damit ist auch gemeint, schwierige Themen nicht am Tisch zu diskutieren oder seinen eigenen Stress “mitzunehmen”. Außerdem sollte Essverhalten nicht kommentiert werden. Gemeinsame Mahlzeiten in entspannter Stimmung sind entscheidend.
- Apropos gemeinsame Mahlzeiten. Vor allem kleine Kinder essen oft sehr früh zu Abend und ich habe schon oft von Eltern gehört, dass sie dann erst später essen. Deswegen möchte ich euch ermutigen, dass ihr gemeinsam esst. Ganz besonders wenn ihr ein Kind habt, das gerade sehr wählerisch isst.
- Die sensorischen Vorlieben, die ich weiter oben schon erwähnt habe, sollte man respektieren. Das kann heißen, dass bestimmte Lebensmittel in unterschiedlichen Konsistenzen angeboten werden. Vielleicht schmecken keine Pellkartoffeln, aber Kartoffelbrei?
- Und auch die “kindliche Trennkost” sollte berücksichtigt werden. Serviert Speisen also lieber in getrennten Schüsseln oder auf Kindertellern, mit Unterteilungen. Dann berührt sich auch wirklich nichts.
- Kinder einbeziehen: Beim Einkaufen, Kochen oder Anrichten mithelfen lassen – das weckt Neugier und steigert die Akzeptanz. Auch das habe ich schon ganz oft empfohlen. Hier kannst du mehr dazu lesen.
- Auch Selbstmach-Gerichte können ein echter Gamechanger sein. Wenn jeder sich seinen eigenen Teller gestaltet, spürt ein Kind weniger Druck und man kann auch ganz vorsichtig neue Dinge probieren.
- Essen macht Spaß!! Daran dürfen wir Erwachsenen uns auch immer wieder erinnern und das können und sollten wir auch unseren Kindern vorleben. Begeistert einkaufen, mit Genuss essen, den Tisch schön decken und Teller hübsch anrichten – das alles kann einen positiven Einfluss haben. Bei kleineren Kindern kann es auch helfen, Lebensmittel in witzige Formen zu schneiden oder an kleinen Spießen zu servieren.
- Wir sind Vorbilder! Sind wir vielleicht auch manchmal wählerisch? Essen wir immer nur die gleichen Gerichte? Kaufen wir immer wieder dieselben Lebensmittel ein? Wenn ja, ist das hier eine kleine Erinnerung und Ermutigung, experimentierfreudiger zu sein.
Don’ts – Es gibt auch Strategien, die man NICHT verfolgen sollte
- Manche Eltern wollen, dass ihr Kind bei den Hauptmahlzeiten besser isst und streichen die Snacks in der Hoffnung, dass das Kind dann hungriger ist. Dieses „Aussitzen“ ist aber absolut keine gute Idee. Es hilft Picky Eatern nicht bei ihrem Problem und trägt auch nicht dazu bei, dass sie eine gute Beziehung zum Essen entwickeln.
- Wir verurteilen hier niemanden und wer hier schon länger mitliest, weiß, dass meine Familie regelmäßig ein Couchessen vor dem Fernseher macht. Aber bei Picky Eatern oder in schwierigen Phasen sollte man Bildschirmzeit beim Essen eher vermeiden. Wenn Kinder ohne Bildschirm essen, sind sie präsenter und können ihr Essen besser schmecken, fühlen und riechen. Das heißt aber nicht, dass man immer und ausschließlich am Esstisch essen muss. Über Ausnahmen und alternative Ideen kannst du hier mehr lesen.
- Ich bin kein Fan von “Gemüse unterjubeln”. Es gibt viele Rezepte für Kinder, in denen Gemüse „versteckt“ wird. Das ist allerdings langfristig keine gute Strategie, vor allem nicht bei Kindern, die sehr wählerisch essen und skeptisch gegenüber neuen
Lebensmitteln sind. Man ist nicht ehrlich gegenüber seinem Kind und das Kind hat so auch absolut keine Chance, seine Meinung über Gemüse zu ändern, da es ja gar nicht weiß, wenn es welches gegessen hat. Zudem kann so etwas genau das Gegenteil bewirken, wenn das Kind dieses Unterjubeln bemerkt.
Nicht aufgeben!
Geduld ist der Schlüssel: Essen ist ein Lernprozess, der ohne Druck und Stress stattfinden sollte. Gleichzeitig ist es wichtig, die Eigenständigkeit der Kinder zu fördern, indem man ihnen eine gesunde Auswahl bereitstellt, ihnen aber die Entscheidung selbst überlässt. Eine kreative Präsentation kann dabei helfen, Lebensmittel attraktiver zu machen – zum Beispiel durch farbenfrohe Anrichtung oder lustige Formen. Auch die Vorbildfunktion von uns Eltern spielt eine große Rolle, denn Kinder orientieren sich stark am Essverhalten der Erwachsenen. Schließlich zahlt sich Wiederholung aus: Auch wenn ein Lebensmittel zunächst abgelehnt wird, sollte man es immer wieder anbieten, allerdings ohne Zwang. Ein wichtiges Fazit ist also: Sei geduldig! Es kann dauern und manchmal herausfordernd sein, aber es lohnt sich.
Wann sollte man sich ärztlichen Rat holen?
Meistens ist Picky Eating harmlos. Alarmzeichen, bei denen eine ärztliche Abklärung sinnvoll ist, sind z.B. ein deutlicher Gewichtsverlust oder stagnierende Gewichtszunahme, die Verweigerung fester Nahrung, ein anhaltender Appetitverlust oder häufiges Erbrechen oder Verdacht auf Nährstoffmangel. In seltenen Fällen steckt hinter solchem Verhalten eine ernsthafte Essstörung wie ARFID (Avoidant/Restrictive Food Intake Disorder), die professionelle Unterstützung erfordert. Grundsätzlich gilt: Wenn ihr ein schlechtes Gefühl habt oder euch ernsthafte Sorgen macht, sprecht mit ihrem Kinderarzt oder eurer Kinderärztin.

