Ein gutes Bauchgefühl – Über emotionales und intuitives Essen
Ein Artikel von Alicia Metz-Kleine
Heute möchte ich euch über emotionales und intuitives Essen erzählen. Beschäftigt man sich mit Achtsamkeit und gesunder Ernährung, landet man früher oder später bei intuitiver Ernährung. Ähnlich ist es, wenn man Kinderernährung selbstbestimmt und ungezwungen gestalten will. Auch dann kommt man schnell mit intuitivem Essen in Berührung. So ging es mir zumindest. Ich bin immer wieder auf das Thema gestoßen.
Habe ich wirklich Hunger? Oder steckt ein anderes Bedürfnis dahinter? Bin ich satt?
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Diese Fragen klingen so banal, aber tatsächlich haben viele von uns verlernt, auf den eigenen Körper und seine Signale zu hören. Oft essen wir aus Gewohnheit. Aber auch Alltagsroutinen, emotionale Bedürfnisse, Erziehung, Außenreize und (alte) Glaubenssätze beeinflussen, wie, was, wie viel und wann wir essen. Ich beschäftige mich jetzt schon länger mit intuitivem und auch emotionalem Essen und finde das Thema sehr spannend – und es ist auch sehr bereichernd für den Umgang mit Kindern in Bezug auf Essen. Deswegen will ich euch heute ein bisschen was dazu erzählen.
Emotionales und intuitives Essen
Essen ist viel mehr als nur Nahrungsaufnahme, das habe ich hier schon häufiger geschrieben. Es ist häufig mit Emotionen verbunden. Denkt zum Beispiel mal an ein Essen aus eurer Kindheit. Wisst ihr noch, welches Gefühl es bei euch ausgelöst hat? Erinnert ihr euch noch an den Geruch? In meiner Ausbildung zur Ernährungscoachin haben wir Traumreisen zum Essen unserer Kindheit gemacht und es war erstaunlich, was das bei manchen Teilnehmer:innen ausgelöst hat.
Diese Verbindung von Nahrungsaufnahme und Emotionen beginnt übrigens schon im Babyalter. Wird ein Baby gestillt oder mit der Flasche gefüttert, geht es dabei nicht nur um Sättigung, sondern auch um Geborgenheit, Sicherheit und Wärme. Das ist ganz eng miteinander verknüpft. Und diese Verknüpfung ist auch nichts Schlechtes, wir sollten uns ihrer nur bewusst sein.
Denn viele Menschen greifen zur Nahrung, ohne hungrig zu sein. Das kennt ihr vielleicht auch, oder? Dahinter kann emotionales Essen stecken. Dabei reagieren wir auf bestimmte Gefühle, z.B. Überforderung, Langeweile, Einsamkeit, Stress… mit Nahrungsaufnahme. Essen kann auch als Belohnung oder Trost dienen. Ich neige zum Beispiel dazu, mich in stressigen Phasen mit leckerem Essen zu belohnen.
Durch das Essen wollen wir uns besser fühlen, was kurzfristig auch funktioniert. Oft greift man in solchen Situationen zu fettreichen Lebensmitteln oder Süßigkeiten. Denn sie liefern schnell Energie und dadurch entsteht ein Hochgefühl – es geht uns wirklich kurz besser. Das hält allerdings nicht lange an und hilft nicht nachhaltig. So wird die Auseinandersetzung mit den Gefühlen und den Gründen dahinter vermieden.
Es spricht natürlich überhaupt nichts dagegen, wenn man sich etwas gönnt, auf das man richtig Lust hat. Mit Genuss essen ist etwas wunderbares – das sollten auch unsere Kinder lernen und erleben. Wenn man aber sehr häufig nur aus emotionalen Gründen isst und sich nicht gut damit fühlt, sollte man mal genauer hinschauen.
Und Essen sollte nie als Erziehungsmittel benutzt werden – nicht als Belohnung, Motivation oder Trost und auch auf gar keinen Fall als Druckmittel oder Bestrafung („Du bekommst nichts Süßes, wenn du…“). Denn manches bleibt für immer. Wird ein Kind beispielsweise immer mit Süßigkeiten getröstet oder für etwas belohnt, ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass es auch als Erwachsene:r auf diese Strategie zurückgreift.
Beim intuitivem Essen hingegen ist man achtsam und spürt in den Körper rein und deckt auf, warum man jetzt gerade zu einem bestimmten Lebensmittel greifen will. Deswegen kann intuitives Essen auch eine Lösung gegen emotionales Essen sein. Denn dabei übt man die grundlegenden Bedürfnisse des Körpers wieder besser zu spüren.
Es ist eigentlich kein neues Konzept, sondern ein Rückbesinnen auf das eigene Körpergefühl. Die Idee dahinter: die Ernährung an die tatsächlichen Bedürfnisse des Körpers anzupassen, so stellt sich eine ausgewogene Ernährung ganz von alleine ein. Das Konzept wurde vor allem durch die beiden amerikanischen Ernährungswissenschaftlerinnen Evelyn Tribole und Elyse Resch bekannt, die 1995 ein Buch zu dem Thema veröffentlicht haben und seitdem Expertinnen in diesem Bereich sind.
Zum intuitiven Essen gehören aber auch Fragen wie: Welche Lebensmittel tun mir wirklich gut? Vertrage ich das Frühstück und den Kaffee? Gehe ich Mittags essen, weil ich hungrig bin oder weil dann meine Mittagspause ist? Oder ist es nur Gewohnheit?
Noch ein Buchtipp:
Das Buch „Dein Kind isst besser, als du denkst!“ von Katharina Fantl und Julia Litschko beschäftigt sich mit intuitiver Kinderernährung. In der Beschreibung steht: „Für unsere Kinder brauchen wir endlich einen nachhaltigen Ansatz: weg von Gesundheitsfokus und Kontrolle, hin zu Vertrauen auf die Körperintelligenz und achtsamer Unterstützung auf Augenhöhe.“ Und: „Das Ziel: Kindern ein unbeschwertes und gesundes Essverhalten zu vermitteln. Ohne Regeln, Verbote, Druck oder Kontrolle. Dafür im Einklang mit den Bedürfnissen des Körpers.“ Das Buch bietet eine tolle Übersicht und enthält außerdem viele praktische Übungen für den Familienalltag!
„Noch ein Löffel für Oma.“ – Intuitives Essen mit Kindern
Kinder stellen sich diese Fragen natürlich noch nicht und das müssen sie auch gar nicht. Sie essen nämlich von klein auf ganz intuitiv, wenn wir sie lassen. Intuitives Essen mit Kindern beinhaltet viele Dinge, die wir hier auf Neulich am Familientisch schon ganz oft geschrieben haben. Am Familientisch müssen wir weg von Druck, Regeln, Kontrolle und hin zu mehr Gelassenheit und Vertrauen. Es ist wichtig, dass wir bestimmte Phasen verstehen, sie achtsam und vertrauensvoll begleiten können und unsere Kinder so auf ihrem Weg zu einer gesunden Ernährung und einem guten Körpergefühl unterstützen.
Wie machen wir das?
Das fängt damit an, unseren Kindern zu vertrauen, wann sie Hunger haben und wann sie satt sind. „Noch ein Löffel.“ „Nur noch einmal abbeißen!“ „Iss doch noch deinen Teller auf, dann kannst du aufstehen. Ok?“ Habt ihr so was in der Art auch schon mal gesagt? Also mir rutscht das definitiv ab und zu mal raus. Vor allem dann, wenn wirklich nur noch ein kleiner Bissen auf dem Teller liegt. Aber eigentlich weiß ich, dass das nicht richtig. Ich fühle mich auch unwohl, wenn mir jemand noch etwas auf den Teller packen will oder mein Glas nachgießen will, obwohl ich schon nein gesagt habe. Außerdem können wir Kinder mit Fragen dabei unterstützen, sie in ihrem Körpergefühl zu stärken.
Ein paar Ideen:
- Akzeptieren, wenn Kinder satt sind (ganz ohne nachfragen!!)
- Kinder in ihrem Körpergefühl stärken und ihnen beispielsweise einen Snack machen, wenn sie Hunger haben (Ja, auch wenn es gerade Essen gab)
- Wenn Kinder Hunger haben, nachfragen: Worauf hast du Lust? Was würde dir jetzt gut tun? Was frisches, süßes, salziges? Hast du richtig Hunger oder nur Appetit? Ihr könnt auch ganz konkrete und unterschiedliche Angebote machen oder einen Snackteller vorbereiten, wo verschiedene Lebensmittel drauf sind. So lernen Kinder, nachzuspüren.
- Lebensmittel nicht in gut und böse oder in gesund und ungesund einteilen. Dazu gehört zum Beispiel auch, dass es Nachtisch nicht erst gibt, wenn das Kind Gemüse gegessen hat. Es darf auch mal beides gleichzeitig geben.
- Lebensmittel oder Bedürfnisse sollten nicht bewertet oder kommentiert werden – nicht bei den Kindern und auch nicht bei sich selbst.
Kinder lernen vor allem durch Vorbildlernen und Imitation – es ist deswegen immer gut, auch sein eigenen Verhalten anzuschauen und zu reflektieren. - Manchmal Wissen gegen Vertrauen eintauschen. Das meint: „Ja, ich weiß, dass das Kind eigentlich jeden Tag Gemüse essen sollte, aber vielleicht braucht der kleine Körper das gerade nicht so oder es ist eine Phase. Ich darf also vertrauen, dass sich das auch wieder ändert.“
- Kinder mit einbeziehen – in den Einkauf, die Lebensmittelauswahl, das Kochen etc. – das, was wir hier immer wieder schreiben. Selbstwirksamkeit ist ein wichtiger Bestandteil.
Wir bereits oben geschrieben, sollte Essen nie als Belohnung oder Strafe dienen. Kinder verlieren dadurch die Verbindung zu ihren Körper und entwickeln langfristig ungesunde Glaubenssätze und Gewohnheiten. Ja, es kann herausfordernd sein und viel Geduld erfordern. Als Eltern müssen wir bestimmte Phasen aushalten lernen. Aber es lohnt sich. Denn irgendwann führt intuitives Essen dazu, dass es weniger Stress am Familientisch gibt und Essen Spaß und Leichtigkeit bringt. Das Gute ist: intuitives Essen kann man lernen. Aber auch hier ist Geduld gefragt: Besonders bei Erwachsenen kann es eine Weile dauern, bis man wieder ein gutes Körpergefühl entwickelt.