Warum wir Körper und Essverhalten nie kommentieren sollten
Ein Artikel von Alicia Metz-Kleine
Gerade zum Jahresanfang häufen sich Artikel mit reißerischen Titeln wie „Januar-Diät: Verbanne diese Lebensmittel“ und „Abnehmen im Januar?“ In diesem Artikel heute soll es zwar nicht darum gehen, dass Diäten ungesund sind und meistens Quatsch sind (wissenschaftlich belegt ist nämlich nur, dass keine Diät auf Dauer hilft – im schlimmsten Fall führen Abnehmkuren sogar zum gegenteiligen Effekt). Aber genau jetzt ist ein guter Zeitpunkt, um darüber zu schreiben, dass wir nie den Körper oder das Essverhalten von Kindern (und auch nicht von anderen Erwachsenen) kommentieren sollten. Der Fokus liegt daher heute auf ein gesundes Körperbild bei Kindern. Ach, und Link- & Buchtipps gibt es auch noch.
Hast du schon mal eine Diät gemacht? Oder darüber nachgedacht? Hast du schon mal negativ über deinen Körper gesprochen oder gedacht? Und hast du dich in deinem Körper schon mal unwohl gefühlt?
Das muss ich leider alles bejahen. Ich bin Anfang der 80er geboren und in den 90ern, als ich gerade mitten in der Pubertät gesteckt habe, herrschte ein ziemlich toxisches Frauenbild. Heroin-Chic galt damals als Schönheitsideal (Hallo Kate Moss). In den 00er Jahren kam dann der nächste gefährliche Trend: Size Zero. Die Body Positivity Bewegung gab es in der Zeit noch nicht und es war definitiv eine Herausforderung, ein gesundes Körperbild aufzubauen oder zu behalten. (Mehr über diese Zeit kannst du in diesem Artikel im Guardian lesen. Und wie Trends Körperbilder verändern, sieht man hier sehr schön.) Aber auch wenn du früher oder später geboren bist, hast du dir bestimmt schon mal Gedanken über Körperbilder gemacht. Vielleicht wurdest du selbst schon bewertet? Vielleicht hast du auch schon mal andere bewertet? Inzwischen weiß man, dass Schönheitsideale niemandem gut tun, denn sie machen unglücklich. Trotzdem ist Bodyshaming in unserer Gesellschaft tief verankert. Es wird als positive Disziplinierungsmaßnahme wahrgenommen. Wer dick ist, ist faul. Dass das absoluter Quatsch ist und wissenschaftlich widerlegt, wird dabei ignoriert.
Aber warum ist das so gefährlich? Kinder und Jugendliche suchen Vorbilder und Orientierung. Ihr eigenes Körperbild und ihre Identität werden in der Zeit als Heranwachsende geprägt und gefestigt. Und das in einer Zeit, in der sich der Körper stark verändert. Zudem sind Kinder und Jugendliche beim Thema Schönheit auch noch sehr unsicher und versuchen, sich selbst und ihre Schönheit einzuordnen. Nur leider sind die Schönheitsideale in den Medien selten realistisch oder gesund. Und auch wenn ein Trend wie Size Zero gerade nicht aktuell ist, haben die sozialen Netzwerke es nicht leichter gemacht. Auch dort gibt es ein Streben nach dem perfekten Körper. Das ständige Vergleichen erhöht zudem den Druck. Es ist also wichtig, dass sie Zuhause und in ihrem Umfeld gestärkt und unterstützt werden.
Wenn auch Zuhause Essverhalten und Körper kommentiert werden, kann das sehr schädlich sein. Und dabei spielt es auch eine Rolle, ob und wie Eltern ihre eigenen Körper bewerten und wie sie generell über Schönheitsideale sprechen. Natürlich ist dabei Essen direkt mit dem Thema verbunden. Dazu später mehr.
Über Rollenbilder und Glaubenssätze
„Du hast aber ein hübsche Jacke.“ vs. „Du kannst aber schnell rennen.“
Welcher dieser Sätze wird wohl eher zu einem Jungen gesagt? Der letztere, genau. Was Körperbilder mit Rollenbildern zu tun hat? Leider sehr viel. Wenn wir über Schönheitsideale sprechen, darf das Thema Geschlecht nicht fehlen. Es gibt große Unterschiede und es ist wichtig, sich damit zu beschäftigen, denn es gibt so viel, was unsere eigenen Vorstellungen von Geschlechterrollen geprägt hat. „Du wirfst ja wie ein Mädchen.“ hast du den Satz schon mal gehört? Etwas wie ein Mädchen zu tun wird auch heute noch abwertend benutzt. Wenn ein Junge weint oder sich nicht traut, etwas zu tun, wird manchmal entgegnet „Sei doch kein Mädchen.“ Jungs sind stark, Mädchen schwach – so etwas fängt oft schon im Kindergarten an. Mädchen werden häufiger für ihr Aussehen und ihr Outfit gelobt, Jungs für das, was sie können und machen.
Dabei wissen wir doch alle, wie schlimm solche Sätze sind – für Mädchen UND Jungs. Wie lange sie einen begleiten können und wie viel Schaden sie anrichten können.
Oft stecken hinter solchen Reaktionen von Erwachsenen die eigenen alten Glaubenssätze aus der Kindheit. Weil unsere Eltern selbst mit solchen Sätzen aufgewachsen sind und es damals noch nicht besser wussten. Aber wir wissen es besser und können es anders machen. Dabei hilft, zu hinterfragen, was uns selbst geprägt hat. Und sich zu überlegen, was wir unseren Kindern mitgeben möchten?
Wer jetzt denkt „das ist doch alles nicht so dramatisch“. Doch, ist es. Hier ein paar Zahlen und Fakten dazu:
- eine Studie US-Amerikanischen Forscherinnen hat gezeigt, dass bereits Mädchen im Alter von drei bis fünf Jahren (!) positive Eigenschaften damit verbinden, dünn zu sein
- laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung empfinden sich die Hälfte der Mädchen im Alter von 15 Jahren als zu dick, obwohl sie normalgewichtig sind
- in der letzten Girlguiding-Studie (eine Studie, die die größte britische Jugendorganisation für Mädchen jedes Jahr herausgibt) gaben 80 Prozent der Mädchen an, dass sie Druck verspüren, ihr Aussehen verändern zu müssen
- laut der HBSC-Studie 2017/2018 (Health Behaviour in School-aged Children) sind auch männliche Jugendliche in Deutschland häufiger unzufrieden mit ihrem eigenen Körper
- bereits im Alter von fünf bis acht Jahren gibt es Mädchen, die mit ihrem Körper unzufrieden sind und wissen, was eine Diät ist
Dabei ist es wichtig zu betonen, dass wir alle Schönheit nicht selbst definieren. Welche Körper wir schön finden, wird von der Gesellschaft vorgegeben und beeinflusst. Von Medien, Eltern, Vorbildern, Freund:innen. Wie wir als Eltern zuhause mit dem Thema umgehen, ist also wirklich von Bedeutung. Über den Einfluss von Kleidung, Spielzeugen etc. kann man sich toll bei „Die Rosa-Hellblau-Falle“ informieren. Sie geben gute Tipps, wie man Rollenklischees erkennt und ihnen entkommt.
Zurück zum Essen und an den Familientisch
Gerade erst war Weihnachten und an vielen Familientischen gab es wahrscheinlich den ein oder anderen übergriffigen Kommentar. Leider. Manchmal sind es nur beiläufige Kommentare wie „oh, du hast aber schon ganz schön viel gegessen“, die man sich trotzdem verkneifen sollte.
Kinder essen von klein auf ganz intuitiv, wenn wir sie lassen. Solche Kommentare, Druck, Regeln und Kontrolle beeinflussen aber dieses intuitive Essverhalten negativ. Es ist wichtig, dass wir bestimmte Phasen verstehen, sie achtsam und vertrauensvoll begleiten können und unsere Kinder so auf ihrem Weg zu einer gesunden Ernährung und einem guten Körpergefühl unterstützen. Und dazu gehört eben auch, unseren Kindern zu vertrauen, wann sie Hunger haben und wann sie satt sind. Wenn wir Kinder ihrem eigenen Bedürfnis und Gefühl widersprechen, fühlen sie sich zudem falsch. Mehr über intuitives Essen kannst du auch in diesem Artikel lesen.
Essen sollte außerdem nie als Erziehungsmittel benutzt werden – nicht als Belohnung, Motivation oder Trost und auch auf gar keinen Fall als Druckmittel oder Bestrafung. Das gilt auch für den Nachtisch – er sollte nicht als Belohnung für die gegessene Hauptspeise dienen. Denn manches bleibt für immer. Wird ein Kind beispielsweise immer mit Süßigkeiten getröstet oder für etwas belohnt, ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass es auch als Erwachsene:r auf diese Strategie zurückgreift. Außerdem bekommt das Dessert durch diese Erpressung einen Sonderstatus.
Generell kann man sagen, dass alle manipulativen, erpresserischen oder wertenden Kommentare und Sätze zu einem ungesunden Essverhalten führen.
„The study, published in the journal Eating & Weight Disorders, is one of many finding that parents’ careless — though usually well-meaning — comments about a child’s weight are often predictors of unhealthy dieting behaviors, binge eating and other eating disorders, and may inadvertently reinforce negative stereotypes about weight that children internalize. A parent’s comments on a daughter’s weight can have repercussions for years afterward, contributing to a young woman’s chronic dissatisfaction with her body – even if she is not overweight.“ Das Zitat stammt aus der New York Times – über eine amerikanische Studie.
Und wie wir schon oft erwähnt haben: Kinder lernen vor allem durch Vorbilder und sie beobachten sehr genau. Verbietet man sich selbst etwas Süßes oder Kohlenhydrate? Isst man „nur“ einen Salat, weil man in der Weihnachtszeit etwas zugenommen hat. Das alles beeinflusst unsere Kinder.
Aber auch wenn wir das alles beachten und beherzigen, kann es trotzdem immer Kommentare von außen geben. Spätestens in der Schule sind Kinder Bewertungen von anderen ausgesetzt.
Wie kann man mit Kommentaren von anderen umgehen? Wie kann man sein Kind stärken? Was kann man vorbeugend machen?
„Du bist gut so wie du bist!“ – So sorge ich für ein gesundes Körperbild bei Kindern
- Sprich nicht schlecht über deinen oder andere Körper. Bewerte Körper am besten gar nicht.
- Bewerten andere den Körper deines Kindes, reagiere auf den Kommentar und korrigiere den Satz. Mit älteren Kindern kann man auch schon über die Gründe für solche Kommentare sprechen.
- Achte auf die Auswahl der Medien – wie divers sind Serien, Bücher etc.? Werden unterschiedliche Körper gezeigt? Kommt Bodyshaming darin vor? Werden Rollenklischees bedient?
- Vermeide Rollenklischees und hinterfrage eigene Glaubenssätze.
- Betone, was Körper alles Tolles können, nicht wie sie aussehen.
- Bleibe mit deinen Kindern in Kontakt und zeige Interesse an den Dingen, die sie hören/gucken/spielen und suche mit ihnen das Gespräch.
- Auch auf die Gefahr hin, dass wir uns wiederholen: Essen darf und soll Spaß machen. Ganz viele Tipps, wie man mehr Freude am Familientisch hat, findest du hier.
Und zum Schluss noch ein wichtiger Reminder: Wir leben in einer Gesellschaft, in der es eine riesengroße Industrie (Diät,- Beauty-, Mode- & Wellness) gibt, die davon lebt, dass Menschen sich nicht schön finden. Eine Industrie, die will, dass wir uns in unseren Körpern nicht wohlfühlen. Übergewicht kann ungesund sein, ja. Diäten und Essstörungen sind es aber auch. Es gibt dicke, ungesunde Menschen und dünne, ungesunde Menschen. Das Gewicht sagt aber erstmal nichts über die Gesundheit oder die Fitness aus.
Es ist so wichtig, dass es endlich ein diverseres Bild von Schönheit gibt. Wir brauchen dringend die Akzeptanz verschiedener Körperformen und dass Kindern keine falschen Körperideale vermittelt werden. Menschen sind unterschiedlich. Und das ist wunderbar.
Buch- & Linktipps zum Thema Gesundes Körperbild bei Kindern
Bücher:
- „Körper sind toll“
- „Aufklärung von Anfang an. Mit Kindern über Körper, Gefühle und Sexualität sprechen.“
- “Mädchen, Junge, Kind. Geschlechtersensible Begleitung und Empowerment von klein auf.”
- “Prinzessinnen-Jungs”
- Mira und das fliegende Haus: “Wir gehören zusammen!”, “Mein Körper ist mein Königreich” und “Farben sind für alle da!”
- „Dein Kind isst besser, als du denkst!“
Linktipps:
- Schönheitsideale in sozialen Medien: Wie werden Jugendliche und Kinder davon beeinflusst?
- Toxic Influence: A Dove Film | Dove Self-Esteem Project
- Die Rosa-Hellblau-Falle
- Pinkstinks
- Parents Should Avoid Comments on a Child’s Weight
Links zu Studien:
- https://www.gbe-bund.de/pdf/Faktenbl_koerperbild_diaetverhalten_2013_14.pdf
- https://www.bzga.de/was-wir-tun/kinder-und-jugendgesundheit/
- https://www.girlguiding.org.uk/globalassets/docs-and-resources/research-and-campaigns/girls-attitudes-survey-2021-report.pdf
- https://www.gbe-bund.de/gbe/abrechnung.prc_abr_test_logon?p_uid=gast&p_aid=0&p_knoten=FID&p_sprache=D&p_suchstring=14467
- https://onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1348/026151004X20658
- https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/27270419/