Interview mit Dr. Julia Tanck: Eltern und das Körperbild ihrer Kinder

Interview mit Dr. Julia Tanck: Eltern und das Körperbild ihrer Kinder

Ein Artikel von Alicia Metz-Kleine

Im Januar habe ich erst darüber geschrieben, warum wir Körper und Essverhalten nie kommentieren sollten und auch im letzten Artikel ging es um Glaubenssätze und darum, wie wir Kinder bei einer langfristigen gesunden Beziehung zum Thema Ernährung unterstützen können. Kurz danach bin ich auf das neue Buch „UNFILTERED. Social Media und unser Körperbild“ von der psychologischen Psychotherapeutin Dr. Julia Tanck gestoßen. Darin geht es um Körperbilder, Körperwahrnehmung, Essstörungen, Gewichtsdiskriminierung, gesellschaftliche Einflüsse und vieles mehr. Dabei beleuchtet sie das Thema Körper aus drei Blickwinkeln: aus der Wissenschaft, der therapeutischen Praxis und der Betroffenenperspektive. Sie erklärt, warum wir uns mit unserem Körper so fühlen, wie wir es tun und liefert Erklärungen sowohl auf individueller als auch auf struktureller Ebene. Außerdem liefert sie Ansatzpunkte, wie wir unsere Beziehung zum eigenen Körper verbessern können. So ein wichtiges und spannendes Thema. Deswegen freue ich mich sehr, dass ich Julia ein paar Fragen zum Thema Eltern und das Körperbild ihrer Kinder stellen durfte.

Eltern geben oft unbewusst das, was sie selbst über ihren Körper denken und fühlen, an ihre Kinder weiter

— Dr. Julia Tanck

Du bist ja Expertin auf dem Gebiet Essstörungen und Körper. Wie bist du dazu gekommen?

Dies ist eine der häufigsten Fragen, die mir gestellt wird. Hatte ich selbst mal eine Essstörung? Nein. Ich bin über meinen beruflichen Werdegang bei diesem Schwerpunkt gelandet. Bereits meine Masterarbeit schrieb ich über das Thema Germanys Next Topmodel. Im Rahmen meiner Weiterbildung zur Psychologischen Psychotherapeutin arbeitete ich mehrere Jahre auf einer Spezialstation für Essstörungen und behandelte verschiedenste Betroffene von Essstörungen sowohl stationär als auch ambulant. In dieser Zeit merkte ich, dass mir die Arbeit mit Betroffenen dieses Störungsbildes große Freude machte und ich hatte das Gefühl, eine gute therapeutische Beziehung als essentiellen Bestandteil einer erfolgreichen Psychotherapie aufbauen zu können. Anschließend absolvierte ich meine Promotion im Bereich Körperbildtherapie bei Essstörungen an der Universität Osnabrück, sodass ich neben dem psychotherapeutischen Hintergrund auch den wissenschaftlichen Hintergrund kenne. Der Schwerpunkt Essstörungen und Körperbildstörungen hat sich daher bei mir mehr oder weniger „zufällig“ entwickelt – worüber ich im Nachhinein sehr dankbar bin.

Du schreibst schon ganz zu Beginn in deinem Buch, dass wir Eltern das, was wir über unseren Körper denken und fühlen, (unbewusst) an unsere Kinder weitergeben. Warum ist das so? Und wie können wir uns dieses Verhalten bewusst machen?

Eltern geben oft unbewusst das, was sie selbst über ihren Körper denken und fühlen, an ihre Kinder weiter. Dies geschieht auf mehreren Ebenen: Zum einen durch das Modelllernen – Kinder beobachten von Anfang an sehr genau, wie ihre Eltern mit ihrem Körper umgehen und was sie darüber sagen. Die elterlichen Verhaltensweisen und verbalen Äußerungen nehmen sie als Modell und übernehmen diese. Machen die Eltern ständig abfällige Bemerkungen über ihren Körper, sogenannten „Fat Talk“, lernen Kinder, dass dies normal ist. Darüber hinaus prägt die Art und Weise, wie Eltern über ihren Körper denken und fühlen, auch die Emotionen, die sie in Bezug auf Themen wie Essen und Bewegung ausstrahlen. Nicht zuletzt spielen auch generationsübergreifende, sogenannte transgenerationale Muster eine Rolle. Das heißt: Oft übernehmen wir unbewusst von unseren Eltern dysfunktionale Körperbilder und körperbezogene Einstellungen. Diese tief verwurzelten Prägungen geben wir dann unbewusst an die nächste Generation, unsere eigenen Kinder, weiter. Um sich dieses Verhalten bewusst zu machen, ist kontinuierliche Selbstreflexion unerlässlich. Eltern sollten ihre eigenen Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen rund um das Thema Körper immer wieder kritisch hinterfragen. Denn nur wenn sie ihre eigenen negativen Prägungen durchbrechen, können sie ein positives Körperbild an ihre Kinder weitergeben.

Wie können Eltern, Kinder in ihrem Körpergefühl stärken und ihnen dabei helfen, eine positive Beziehung zu ihrem Körper aufzubauen? Hast du ein paar Tipps?

Zunächst ist es wichtig, dass wir als Eltern selbst ein gutes Vorbild sind und eine gesunde Einstellung gegenüber dem eigenen Körper zeigen (siehe vorherige Frage). Eltern sollten ihren Kindern beibringen, die vielen Fähigkeiten und Stärken Ihres Körpers wertzuschätzen und außerdem vermitteln, dass jeder Körper einzigartig und wertvoll ist.

Darüber hinaus sollten Eltern ihre Kinder darin bestärken, auf die Signale ihres Körpers zu hören und diese zu respektieren, anstatt sie zu ignorieren oder zu übersteuern. Dazu zählen zum Beispiel körperliche Hunger- und Sättigungsgefühle. Kinder sollten weder zur Essensrestriktion noch zum Überessen ermutigt werden. Eine gesunde Beziehung zum Körper bedeutet auch, die Grenzen der Kinder zu akzeptieren, was Hunger- und Sättigung beim Essen angeht.

Darüber hinaus ist Bewegung ein wichtiger Faktor für ein positives Körpergefühl. Eltern sollten versuchen, ihren Kindern Spaß an Aktivitäten zu vermitteln, bei denen der Körper in Bewegung ist. Der Fokus sollte hier auf dem Erlebnis und nicht auf Leistung oder dem Aussehen liegen.

Aber auch wenn wir Eltern ganz viel richtig machen, gibt es ja noch gesellschaftliche Einflüsse. Wie können wir Kinder darauf vorbereiten? Welche Tipps kann man ihnen an die Hand geben, um damit umzugehen? Welche Rolle spielt das Thema Essen beim Thema Körperbild?

Eltern sollten darauf achten, offen mit ihren Kindern über aktuelle Themen wie Schönheitsideale oder Bodyshaming in den Medien zu sprechen. Sie sollten die Kinder dazu ermutigen, eigene Meinungen zu bilden und ihnen erklären, dass jeder Mensch unabhängig vom Aussehen wertvoll ist. Eltern könnten ihren Kindern je nach Altersgruppe beispielsweise zeigen, wie Bilder bearbeitet und die Realität geschönt wird. So wird die Medienkompetenz und das kritische Hinterfragen geübt.

Darüber hinaus sollten Eltern das Selbstwertgefühl ihrer Kinder stärken, indem sie deren individuelle Stärken und Talente loben – egal ob sportlich, kreativ oder sozial. Sie sollten ihre Kinder daran erinnern, dass sie einzigartig und wertvoll sind, und gemeinsam mit ihnen üben, auf innere Qualitäten statt auf äußere Merkmale zu achten. Außerdem ist es ratsam, den Kindern positive Vorbilder aus dem Familien- und Freundeskreis oder aus Büchern, Filmen und Medien vorzustellen und mit ihnen zu besprechen, was diese Personen stark und bewundernswert macht.

Und wie entstehen Essstörungen?

Essstörungen haben meist keine einzelne Ursache, sondern entstehen nach dem sogenannten biopsychosozialen Modell aus einer Mischung verschiedener auslösender und aufrechterhaltender Faktoren. Zu den biologischen Risikofaktoren zählen zum Beispiel Störungen des Hunger- und Sättigungsgefühls, das weibliche Geschlecht, die Pubertät oder eine genetische Häufung innerhalb der Familie. Auf der psychologischen Ebene begünstigen Persönlichkeitsmerkmale wie Perfektionismus, ein geringes Selbstwertgefühl und eine ausgeprägte Impulsivität die Entstehung von Essstörungen. Viele Betroffene haben tief verwurzelte negative Grundannahmen über sich selbst, wie „Nur wenn ich schlank bin, bin ich wertvoll“. Essgestörtes Verhalten wirkt dann als Bewältigungsversuch, um Kontrolle, Anerkennung oder einen stabileren Selbstwert zu erlangen.

Soziokulturelle Faktoren wie Hänseleien wegen des Aussehens, die mediale Überrepräsentation von Schlankheitsidealen oder ein kritisches Familienklima können Essstörungen ebenfalls begünstigen. 

In deinem Buch geht es ja auch ganz viel um Social Media. Wie hat Social Media unser Essverhalten und unsere Körperbilder beeinflusst?

Social Media hat einen erheblichen Einfluss auf unser Essverhalten und unser Körperbild. Dies lässt sich gut anhand des Tripartite Influence Models erklären, das als die drei Hauptfaktoren für die Entwicklung von Essstörungen und Körperunzufriedenheit unter anderem auch die Medien benennt:

Insbesondere auf Social Media Plattformen wie Instagram werden ständig unrealistische, perfektionierte Körper gezeigt, die ein unerreichbares Ideal vermitteln. Filter, Belichtungstricks und Bildbearbeitung lassen die Beiträge auf Social Media makellos erscheinen. Da der eigene Körper dabei meist schlechter abschneidet, führt dies zu Unzufriedenheit, Stress und dem Druck, bestimmten Normen entsprechen zu müssen. Viele greifen dann zu ungesunden Bewältigungsstrategien wie übermäßigem Sport, Diäten oder Schönheitsoperationen.

Nicht zu unterschätzen ist auch der Einfluss von Influencern und Influencerinnen, die bestimmte Produkte, Diäten oder Lifestyles bewerben und suggerieren, man könne durch deren Konsum den erstrebenswerten Körper erlangen. Gerade junge Nutzerinnen und Nutzer sind leichter beeinflussbar und anfälliger für derartige Claims. Eine interne Studie von Facebook kam zu dem Ergebnis, dass der regelmäßige Instagram-Konsum das Körperbild von einer von drei weiblichen Teenagern verschlechtert. Diese Zahlen verdeutlichen, wie viele Jugendliche von potentiell negativen Folgen durch Social Media betroffen sein können.

Worauf sollten Eltern achten, wenn Kinder anfangen, Social Media zu nutzen?

Wenn Kinder anfangen, Social Media zu nutzen, sollten Eltern einiges beachten. Zunächst sollten sie die vorgegebenen Altersfreigaben der Plattformen ernst nehmen und ihre Kinder nicht zu früh nicht altersgerechte Kanäle besuchen lassen. Sind die Kinder alt genug, müssen gemeinsam mit ihnen die Privatsphäre-Einstellungen so angepasst werden, dass das Profil möglichst geschützt ist und keine privaten Daten für Fremde einsehbar sind. Darüber hinaus ist es ratsam, klare Regeln für die Mediennutzungszeiten festzulegen, da zu viel Zeit auf Social Media negative Auswirkungen auf Konzentration, Schlaf und psychische Gesundheit haben kann. Eltern sollten zudem regelmäßig einen offenen Dialog mit ihren Kindern über deren Erfahrungen in den sozialen Medien führen und für Fragen und Probleme offen sein, damit Konflikte frühzeitig erkannt werden können.

Nicht zu unterschätzen ist die Vorbildfunktion der Eltern – Kinder orientieren sich stark am Mediennutzungsverhalten ihrer Eltern. Diese sollten daher selbst einen verantwortungsvollen Umgang mit Social Media vorleben. Gleichzeitig sollten Eltern ihre Kinder dabei unterstützen, eine reflektierte Medienkompetenz zu entwickeln und Inhalte kritisch zu hinterfragen (siehe Frage 4).

Letztlich sollten Eltern wachsam auf Warnzeichen wie vermehrten sozialen Rückzug, ungewöhnlichen Leistungsabfall oder gestörtes Essverhalten achten, die auf eine übermäßige Social Media Nutzung zurückzuführen sein könnten. Insgesamt ist es wichtig, Kinder beim Einstieg in die sozialen Medien zu begleiten, klare Grenzen zu setzen, aber auch Vertrauen und Offenheit zu zeigen – denn Social Media ist Teil unseres Lebens geworden.

Vielen Dank für das Interview!

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